Frau Dr. Schach ist Psychotherapeutin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Traumatherapeutin in Chemnitz. Ihr Themen- und Forschungsschwerpunkt ist „Bindung“.
Ich habe mich mit ihr getroffen, um über Elternkompetenzen und kindliche Bedürfnisse zu sprechen...

In Ihrer Praxis arbeiten Sie u.a. mit Müttern, denen es schwer fällt, eine sichere Bindung zu ihrem Kind aufzubauen. Woran kann das liegen?

Das kann Frauen betreffen, die selbst keine optimalen Bindungserfahrungen gemacht haben, im Heim aufgewachsen sind, Missbrauch erlebt haben, nur wenig Selbstwert empfinden, in irgendeiner Weise traumatisiert worden oder durch Ängste belastet sind. Mütter, die selbst kein gutes Modell von Mutterschaft in ihrer Kindheit erlebt haben, haben es erwartungsgemäß schwerer, stabile Bindungspartner für ihr Kind zu sein.

Wie können Sie helfen?

Wichtig ist, die Mutter zu stabilisieren. Das kann bedeuten, dass statt selbstzerstörerischem Verhalten Alternativen erarbeitet werden, Tagesabläufe bewusst strukturiert werden, Pausen im Alltag ganz gezielt organisiert werden, Ressourcen (z.B. durch den Lebenspartner) genutzt werden, damit die Mutter Entlastung erfährt. Das ist individuell sehr verschieden.

Wie werden Eltern zu guten Bindungspartnern für ihr Kind?

Um eine sichere Bindung zum Kind aufbauen zu können, braucht es viel Zeit, Ruhe und Aufmerksamkeit.
Gute Bindung gelingt durch Anschauen & Wahrnehmen. Die Bindungsperson sollte die kindliche „Not“ erkennen, verdauen können und angemessen, beruhigend darauf reagieren. Wenn die Mutter beispielsweise im Quengeln ihres Kindes erkennt, dass es hungrig ist, kommentiert sie verständnisvoll: „Du hast Hunger? Ich kümmere mich darum. Gleich kannst du essen.“ Das Kind lernt, dass es verstanden wird, dass seine Mitteilung erfolgreich war,
dass jemand da ist, der sich unmittelbar für sein „Problem“ interessiert und sogleich nach einer Lösung sucht, dass das Kind wichtig ist.

Kann man das lernen?

Jeder, der sich Zeit nimmt, die Signale seines Kindes zu studieren, kann sich zum Bindungspartner entwickeln.

Gar nicht so einfach in unserer reizüberfluteten, schnelllebigen, fordernden Welt. Wie kann es dennoch gelingen?

Ja, es braucht viel mehr  Entschleunigung, Mut zur Beschränkung und viel Zeit miteinander - z.B. um einfach „nur“ gemeinsam am Tisch zu essen.

Was braucht ein Kind am meisten von seinen Eltern?

Liebe. Ein Kind kann man nicht zu viel lieben. Liebende Eltern erlauben ihrem Kind, dass es im Mittelpunkt stehen darf. Sie nehmen zu Gunsten des Kindes Einschränkungen in Kauf- wenigstens in den ersten Lebensjahren.

Ich beobachte mitunter recht schräge Motivationen dafür, ein Kind zu bekommen: Beweis der Weiblichkeit oder Männlichkeit zum Beispiel oder der Wunsch, dem Partner ein Kind schenken zu wollen, Selbstbestätigungstendenzen u.Ä.- das hat nichts mit Liebe zu tun. Eltern sollten Leben schenken wollen und gern für ihr Kind da sein. Und: wenn man selbst nicht geliebt wurde, hat man es wiederum schwer, andere zu lieben. Problematisch wird es z.B. auch, wenn Eltern sich um ein Kind kümmern wollen/sollen und dabei selbst noch ganz bedürftig sind.

Welche Auffälligkeiten zeigen Kinder, die keine stabile Bindung erfahren haben?

Sie sind weniger optimistisch und fröhlich, können häufiger krank werden - auch psychisch, können schlecht verlieren und haben auf Grund ihrer eigenen Unfähigkeit, Bindung aufzubauen, weniger Freunde. In einigen Fällen kann es sogar einen Zusammenhang geben zum ADHS-Symptom: betreffende Kinder holen ihr Pensum an überlebenswichtiger Aufmerksamkeit aus der frühen Kindheit auf, indem sie sich entsprechend auffällig verhalten...

Kann ein(e) Erzieher(in) zum geeigneten Bindungspartner für das Kind werden?

Erzieher(innen) können als hilfreiche Ergänzung und v.a. Entlastung für die Eltern fungieren. Dafür braucht es gute Betreuungsschlüssel, die den Entwicklungsstand eines Kindes berücksichtigen. Für die Qualität einer stabilen Bindung sind ausreichend gemeinsam verbrachte Zeit und Intensität entscheidend- also Quantität und Qualität. Das betrifft sowohl Eltern als auch Erzieher. Nur physisch da zu sein, ist noch kein Gewinn für die Bindungsbeziehung, es braucht aktive Zuwendung und Aufmerksamkeit, damit das Kind vom Gegenüber profitiert.

Herzlichen Dank für dieses Interview!