Annegret ist verheiratet und Mutter von 3 Kindern. Nach ihrer ausgiebigen Elternzeit ist sie beruflich ganz neu durchgestartet und Mitarbeiterin von KALEB Region Chemnitz e.V.
Nahezu täglich hat sie Kontakt zu Müttern- deshalb haben wir bei ihr nachgefragt...

Du hast täglich Kontakt zu Chemnitzer Müttern. Wo siehst du persönlich die größte Not?

Das Muttersein als Beruf/ Berufung wird nicht wertgeschätzt. Viele Mütter erzählen mir, dass sie sich als „Nur-Mütter“ ständig rechtfertigen müssen. Es entsteht der Eindruck, das doch alle Frauen alles gleichzeitig super schaffen – Mutter, Partnerin, Berufstätige, … Im wirklichen Leben erlebe ich sehr oft, dass Mütter die alles leisten müssen, total überlastet sind – oft nur noch funktionieren. Frauen, die sich für Muttersein entscheiden, leiden unter der geringen Wertschätzung und den oft knappen Finanzen. Not macht mir auch, dass Kinder oft nicht mehr als Geschenk und Bereicherung des Lebens sondern als Last erlebt werden. Das Glück, Kinder zu haben, scheint oft abhanden gekommen zu sein.

Viele Eltern gerade hier im Osten sind selbst in der Krippe aufgewachsen. Es gibt einen großen Mangel an emotionalen Erfahrungen aus der eigenen frühen Kindheit. Es fehlt oft auch das „Muttervorbild“, überhaupt Vorbilder für ein gutes Familienleben. Vielen fehlt ein soziales Netzwerk. Auch die ungeklärten, oft wenig stabilen Partnerschaften der Eltern sind eine große Not.

Hauptkampfthema für viele Mütter über viele Jahre ist die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – für viele eine echte Zerreißprobe. Oft fehlt die Möglichkeit der Teilzeitarbeit und die Entscheidung muss zwischen „Ganz oder gar nicht“ Arbeiten zu gehen getroffen werden.

Ist das „zu Hause bleiben“ tatsächlich ein Luxus, den sich viele Familien nicht leisten können?

Die Frage nach dem Geld spielt sicher eine große Rolle. Nach einem Jahr Elternzeit gehen deshalb viele Frauen wieder arbeiten, denn das Elterngeld (als Lohnersatz 67% des Einkommens)  wird nur für ein Jahr gezahlt. Aber ich glaube, dass es für  viele eben einfach auch das „Standardprogramm“ ist – so macht man das eben und da wird auch nicht viel darüber nachgedacht. Ich erlebe auch, dass viele Frauen trotz Partnerschaft sich finanziell selbst versorgen müssen. Die Männer sind nicht bereit, für die Frau zu sorgen, die mit dem Kind zu Hause bleibt. In modernen Partnerschaften ist dies oft so üblich. Eine Arbeitsteilung dahingehend, dass der Mann finanziell für die Familie sorgt und die Frau zu Hause sich um Kinder, Haushalt, Beziehungen, …kümmert, scheint der Gleichberechtigung zu widersprechen. So müssen Frauen oft eben alles leisten. Leider wird durch die Politik unseres Landes hauptsächlich nur die berufstätige Frau gefördert.

Stimmt es, dass die Frage nach der Betreuung am Geld entschieden wird?

Ich erlebe oft, dass die Entscheidung für das „Zuhause bleiben“ bedeutet, mit weniger Geld zurechtkommen zu müssen. Zeit für die Kinder zu haben, heißt dann auch auf manches verzichten, was vorher finanziell möglich war. Für einige bedeutet es auch, ständig Anträge zu stellen, um finanzielle Unterstützungen zu erhalten.

Ob man sich das „Zu Hause bleiben“ leisten kann, ist wohl in erster Linie eine Willensentscheidung, die oft auch mit Verzicht verbunden ist. Die Frage „Mit wie viel / wie wenig Geld kann eine Familie leben?“ ist nicht pauschal zu beantworten, die Antworten individuell sehr unterschiedlich. Verhungern oder unter der Brück erfrieren muss in Deutschland sicher niemand, aber wir leben eben auch nicht in Afrika und haben hier unseren Lebensstandard und natürlich auch ein gewisses Lebensumfeld. 

Es kommt auch sehr darauf an, welche Hilfe die Familie so erhalten kann z.B. gebrauchte Anziehsachen, Möbel, Kinderbetreuung… Ich denke jede Familiensituation ist sehr speziell und man muss da immer genauer hinschauen und immer auch nach individuellen Wegen suchen. Aber wenn ich weiß, dass etwas gut und richtig ist, fällt es mir sicher auch leichter meinen Weg zu finden. Trotzdem erlebe ich, dass es für Familien oft ein herausfordernder Weg bleibt, wenn Mütter länger zu Hause bleiben wollen – aber auf alle Fälle ein lohnender. Wir als Familie haben trotz mancher finanzieller Sorgen auch immer wieder erlebt wie Gott zu unserer Entscheidung steht und uns weiter hilft und versorgt.

Inwiefern kannst du bei deiner Arbeit ratsuchenden Familien helfen?

In der Schwangerenberatung beraten wir zu allen Fragen rund um Schwangerschaft, Geburt, Leben mit Kind. Wir wollen Frauen zum Muttersein ermutigen und ihnen Wege aufzeigen, wie sie das leben können. Die Beratung zu finanziellen und rechtlichen Fragen nimmt dabei einen immer größeren Raum ein. Wir helfen z.B. auch bei Antragstellungen, Widerspruchs-verfahren  und Behördengängen. Außerdem haben wir viele gute Netzwerkpartner, z.B. Hebammen, FamilienLotsinn … mit denen wir zusammen arbeiten. 

Wenn Frauen länger als das erste Lebensjahr des Kindes zu Hause bleiben wollen, steht oft die Frage im Raum, ob und wie das überhaupt finanziell gehen kann. Diese Beratungen sind oft sehr intensiv, aber auch ermutigend für die Frauen, wenn wir doch so manche Hilfe finden - z.B. Betreuungsgeld, Wohngeld, Landeserziehungsgeld, Kinderzuschlag, Bildungspaket.

Wir haben auch eine große Kleiderkammer, wo Familien Kindersachen geschenkt bekommen können.

In besonderen Notsituationen können wir auch Anträge bei Stiftungen stellen, eine aufwendige, aber wirklich hilfreiche Sache.

Besonders herausfordernd sind die Beratungen im Schwangerschaftskonflikt. Wir wollen Eltern zum Leben mit dem Kind ermutigen und gemeinsam nach Wegen suchen, Hilfen anbieten.

Muttersein hat scheinbar seinen Wert verloren. Wie kommt das?

Ich glaube das hat viele verschiedene Ursachen. Z.B. unsere DDR-Geschichte, da war es normal das fast alle Frauen arbeiten gingen, Kinder wurden vom Staat erzogen; viele Frauen, die heute Mütter werden haben selbst nur wenig Mutter erlebt. Manche Schieflage ist aus den eigentlichen guten Ansätzen zur Gleichberechtigung entstanden, auch die Ansichten des Feminismus spielen eine große Rolle. Eigentlich ging es darum, die Frauen nicht mehr zu unterdrücken, dem Mann gleichzustellen.

Als höchstes Gut heute gilt die Selbstverwirklichung, das ICH steht im Mittelpunkt. Muttersein scheint da nicht rein zu passen, Kinder werden als Hindernis gesehen.

Was brauchen Frauen, damit sie gern zu Hause bleiben?

Die Überzeugung und das Wissen, das dies das Beste für das Kind und auch die Mutter ist. Gute Vorbilder, Ermutigung, Wertschätzung. Einen Partner, der das mit lebt und –trägt, finanzielle und praktische Hilfe, soziale Netzwerke.

Man erntet, was man sät… Wie sind deine Erfahrungen mit deinen Kindern?

Ich bin sehr dankbar für viel Gutes, was wir als Familie haben:

• gute Beziehung zu jedem Kind, wir sind immer im Gespräch miteinander geblieben

• gute Rituale: gemeinsames Essen, Spielen und Singen, „Samstag-Vormittag-Hausarbeit“, Zeiten als Familie in der Gemeinde

• ich staune immer mehr über das Besondere an jedem Kind, die Einzigartigkeit , auch manche familiäre Ähnlichkeiten

• die Kinder sind gern zu Hause und bringen Freunde mit und gleichzeitig werden sie groß – „flügge“ und gehen ihre eigenen Wege

• entgegen mancher „Prophezeiungen“ über meine Kinder, die ja nicht mal im Kindergarten waren, kommen die 3 in der Schule gut zurecht und haben gute Freundschaften entwickelt

• als unsere Jüngste 3 Jahre alt war, habe ich meine Arbeitsstelle gekündigt und wir lebten   deshalb viele Jahre mit staatlichen Unterstützungen; finanziell gesehen war dies oft eine große Herausforderung und mein „NUR-Muttersein“ erfreute sich nicht nur der Wertschätzung – jetzt kann ich sagen, es hat sich gelohnt, ich würde es genau so wieder machen

Ich bin vor allem meinem Gott sehr dankbar, dass ich selbst eine wunderbare Mama hatte und habe und andere gute Vorbilder, dass ich mein Muttersein so annehmen und leben konnte. Ich denke, ich konnte viel Gutes in meiner Familie säen, auch wenn Mütter immer Fehler machen – ich kann nur staunen und dankbar erkennen, was Gott wachsen lässt.

Woran erkennt man, dass die Mutter-Kind-Beziehung stimmt?

Zu Beginn des Lebens ist das Baby voll und ganz auf seine Bezugsperson fixiert . Jeder Blick, jedes Wort, jede Berührung hinterlässt Spuren im kindlichen Gehirn. Bindung entsteht durch liebevolle und konstante Zuwendung, d.h. am Anfang muss das Kind der Mittelpunkt sein, ein Baby kann man nicht verwöhnen, es braucht die Befriedigung seiner Bedürfnisse durch eine Bezugsperson. Sichere Bindung entsteht da, wo Eltern feinfühlig auf die Signale des Kindes eingehen. So entsteht Urvertrauen, eine sichere Bindung – die wichtigste Grundlage für spätere Bildung.

Zeichen für sichere Bindung: - Trennungsangst, Kind weint nach der Mutter und lässt sich auch durch sie wieder beruhigen; Fremdeln als gesunde Entwicklung; Kind imitiert z.B. die Mutter; Mutter ist nicht einfach austauschbar; die sichere Basis ermöglicht es, dass das Kind neugierig seine Welt entdeckt.

Was möchtest du jungen Müttern gern mit auf den Weg geben?

Muttersein ist die schönste und herausforderndste Berufung für eine Frau. Es ist wichtig, sich ganz darauf einzulassen. Erziehungsarbeit ist Knochenarbeit, der Lohn ist pralles Glück – so schreibt Sabine Wüsten. Was du jetzt als Mutter investierst, wird sich später auszahlen. Gib deinem Kind jetzt feste Wurzeln, damit es später selbst fliegen kann. Für dein Kind bist genau du die richtige Mutter, also stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Vergiss nicht, als Mutter machst du auch immer wieder Fehler, niemand ist perfekt. Der größte Mutmacher und die beständigste Kraftquelle für mich war und ist Gott, der mich und meine Kinder über alles liebt. Wenn Mütter ihr Leben diesem Gott anvertrauen, haben sie einen festen Halt, eine Zuflucht, Trost und Hilfe für jede „Mütterlage“.

Viele Frauen haben Bedenken, beruflich den Anschluss zu verpassen, wenn sie längere Zeit aussteigen. Was sagst du ihnen?

Die Frage kann ich schlecht pauschal beantworten. Grundsätzlich möchte ich jeder Frau Mut machen zum Muttersein, das Beste wäre natürlich, wenn die Mutter die ersten 3 Jahre mit dem Kind zu Hause ist. Wichtig dabei sind intensive Gespräche, dass jede Frau ihren individuellen Weg findet, auch für die Familie.

Die Wege, wie Mütter wieder in den Beruf finden, sind sehr unterschiedlich. Ein Patentrezept gibt es nicht. Ich glaube wichtig ist, dass ich mein Muttersein als Chance sehe und nutze, meine Stärken und Kompetenzen kennenzulernen und auszubauen, Grenzen besser wahrzunehmen – mir selbst auf die Spur zu kommen. Ich erlebe oft, dass Frauen nach einer längeren Mütterzeit nochmal was ganz anderes machen, mutig neue Wege gehen.

Ehrlicherweise muss man sagen, dass man in manchen Berufen wirklich den Anschluss verpasst und ein Wiedereinstieg nur schwer möglich ist. Da fehlt einfach auch die Unterstützung von der Politik und der Wirtschaft, es ist aus meiner Sicht nicht gewollt, dass Frauen länger zu Hause bleiben. Entscheidung heißt immer, ich entscheide mich für und damit auch gegen etwas. Ich glaube, dass muss uns bewusst sein. Die Frage ist auch immer, wovon mein Wert als Mensch abhängt, was in meinem Leben die Hauptsache ist. 

Ein für mich noch sehr hilfreicher Gedanke findet sich in der Bibel: Alles hat seine Zeit. Wie viel Zeit haben wir im Leben um arbeiten zu gehen und wie viel Zeit haben wir, das Aufwachsen unsere Kinder zu begleiten? Und was sind da 3 Jahre mit unseren Kleinen?

Wie hast du persönlich den Weg zurückgefunden in "bezahlte“ Arbeit?

Ich habe nicht danach gesucht, sondern wurde buchstäblich gefunden/ berufen. Ich war 10 Jahre mit meinen Kindern zu Hause als in unserer Familie alles durcheinander kam. Mein Mann verlor seine Arbeit, in seinem Beruf gab es auch aus gesundheitlichen Gründen keine Perspektive und wir suchten nach einem gangbaren Weg. Und dann kann man nur sagen: Gott führte uns und wir machten uns auf in neues Land. Mein Mann begann eine Vollzeitausbildung zum  Erzieher, dies war nur möglich weil ich zum Hauptverdiener wurde. Bei KALEB wurden genau die Kompetenzen gebraucht, die ich in meinen Mütterjahren erworben hatte. Ich brachte ein Herz für Mütter und Kinder mit, viele eigene praktische Erfahrungen mit denen ich nun für andere da sein konnte. Da ich eine 20 Stunden Stelle habe, die auch Flexibilität zulässt, ist die Arbeit (auch wenn sie sehr herausfordernd ist) gut mit meinem eigentlichen  Hauptberuf als Mutter vereinbar. Denn auch bei den 3 großen Kindern ist die Mutter unersetzlich.

Warum hältst du es für wichtig, die Mama-Phase auszuleben?

Mamazeit ist eigentlich nicht nachholbar, kann nur im HIER und JETZT gelebt werden. Kinder sind nur einmal Babies, Kleinkinder, Vorschulkinder, … Als Mama kann ich diese Zeiten mit meinem Kind genießen und auch selbst daran reifen.

Danke, dass du dir die Zeit für uns genommen hast!

Annegret könnt ihr persönlich treffen und kennenlernen- im Mutti-Kind-Kreis in Rabenstein