strittige Erziehungsmethoden in der Krippe

Mein Bundesland lässt sich die Erziehung seiner Erzieherinnen etwas kosten. Unsere Kita wird einmal im Jahr von einer Kita-Expertin begutachtet, die die Wunschvorstellung der Landesregierung formuliert und vertritt. Ganz grob zusammengefasst lautet diese Wunschvorstellung, die als Lehre daherkommt:

Die Krippe allein vermag es, den Säugling und das Kleinstkind frühkindlich zu bilden. Für den Vollzug dieser Maßnahme ist die Krippenerzieherin bestellt. Sie ist gehalten, das Baby zur Exploration zu bringen, indem sie aus einer distanzierten Haltung und bindungsmäßigen Zurückhaltung heraus seine Selbständigkeit fördert. Der Hintergrund dieses Ansinnens ist die Annahme, der Motor der kindlichen Entfaltung sei sein Trieb, seine Versorgung selbst in die frühkindliche Hand zu nehmen. Diesen Motor wirft die Krippenerzieherin durch milde versagende Maßnahmen an. Ich gebe zu, diese Behauptung klingt gewagt. Deshalb ein Beispiel aus dem Alltag unserer Krippenerzieherin:

„Sie sind ein herzensguter Mensch, das will ich nicht leugnen. Aber gerade solche Menschen wie Sie brauchen wir in den Krippen nicht. Das behindert die Kinder in ihrer Exploration und wirft sie zurück.“ So wurde unsere wunderbare Krippenerzieherin von der oben genannten Expertin beurteilt. In der folgenden Nacht konnte sie kein Auge zu tun, die Kränkung saß zu tief. Ich wandte ein: „„Wir brauchen Sie nicht“, hat die Beraterin gesagt. Wer ist denn Wir? Das sind doch sie selber und das politische Establishment, ihr Geld- und Ruhmgeber. Du aber arbeitest doch hier für unsere Familien. Das ist unser WIR. Und dieses WIR braucht gerade Dich und niemand anderen. Denk an all die Eltern, die sehnlichst wünschen, dass wir ihre Kinder liebhaben. Denk an all die, die auf die Krippe angewiesen sind, weil sie nur mit zwei vollen Gehältern über die Runden kommen können.

Was war da vorgefallen? Die Beraterin hatte in der Krippe hospitiert und sich breitbeinig vor das Regal mit den Wasserfläschchen der Babys und Kleinstkinder gesetzt. An ihr vorbei gab es kein Weg zum Fläschchen. Die Krippenerzieherin, die sich wie immer auch an diesem Tag in ihre fremdelnden Schützlinge hineinversetzte, kam den Kleinen zu Hilfe und reichte ihnen ihre Fläschchen, wenn sie Durst hatten. Das ging aus Sicht der Explorations-Expertin gar nicht. Nach ihrer Glaubenslehre muss ihr Durst die Kinder über sich hinauswachsen lassen. Sie müssen dem Drachen des Fremden ins Auge sehen können, wollen sie Sättigung. Die Alternative: dürsten. Das Ziel dieser Expertin ist keinesfalls das gut mit Bindung und Nahrung versorgte Kleinstkind. Im Gegenteil es sollte immer ein wenig schlecht versorgt sein, damit es einen Anreiz hat, sich weiterzuentwickeln. Die Versorgung soll sozusagen in einer milden Unterversorgung liegen. Dazu taugt gerade diese liebevolle Erzieherin nicht. Die von der Landesregierung bestimmte Art von WIR braucht Erzieherinnen, die das krabbelnde oder tapsende Kind damit konfrontiert, dass der zuverlässige versorgende Dienst an ihm eine Illusion ist. Es ist allein und will es das, was es braucht, so hat es sich gefälligst der Gefahr des Fremden beherzt zu stellen.

Ein anderer Hinweis auf diese herausfordernde Erziehungsmethode: In einer Supervision klagte die Krippenerzieherin über das Ausmaß an hauswirtschaftlicher Arbeit, das ihr abverlangt würde. Sie könne sich deshalb nicht hinreichend um die Kinder kümmern. Insbesondere, wenn sie sich gegenseitig beißen. Darauf unsere Explorations-Expertin: „Was hindert die Kinder denn daran, sich ihren Tisch selber zu decken?“ Das ist kein Scherz.

Dem diametral entgegengesetzt ist die Ansicht von Gordon Neufeld. Auch er kennt so etwas Ähnliches wie Exploration. „Emergenz“ heißt sie bei ihm. Es ist dieses sich von innen nach außen Entwickeln im freien Kinderspiel. Für ihn ist die Emergenz eine der Früchte der Bindung. Ein Kind, für dessen volle oder besser noch übervolle Versorgung sich ein oder zwei immer gleiche Erwachsene zuständig zeigen, das ist frei. Es kann sich entfalten. Ja, es kann sich auch von der Bindungsperson entfernen und die Umgebung erkunden. Das gelingt ihm gerade WEIL es seinen Tisch nicht decken muss, WEIL es sich nicht zur Unzeit fremden Wesen stellen muss, um seinen Durst zu löschen. Es verlässt sich auf den schützenden Erwachsenen und schon geht sie los, die Erkundung und die Entwicklung.

Autorin: Wanda Rabe

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