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Damals in Afrika ist mir etwas aufgefallen...

Erfahrungsbericht von Doro Böhm, 53 Jahre alt, Kinder im Alter von: 23, 19

Ich bin Ärztin. 1986 habe ich im Rahmen meines Studiums ein Geburtshilfepraktikum in Malawi gemacht. Damals ist mir aufgefallen, dass ich trotz teils kläglicher materieller Ausstattung des Vorstadt-Krankenhauses fast nie ein Baby habe weinen hören, obwohl es in unserer Geburtshilfestation zuging wie im sprichwörtlichen Taubenschlag.

"Irgendetwas machen die hier anders als wir", dachte ich und verglich: Alle Babys waren immer am Körper der Mutter. Nach der Geburt haben wir als Geburtshelfer die Neugeborenen immer nur ganz kurz untersucht und dann sofort in ein Tuch, das uns die Mutter vorher gegeben hatte, eingeschlagen. Das bunte Bündelchen wurde der Mutter ausgehändigt, wir hätten ja gar keine Zeit zu einer umfassenden Versorgung der Kinder gehabt. Keine der Mütter, manche waren erst 16 Jahre alt, trennte sich anschließend von ihrem Kind. Das galt auch für die älteren Mütter, die schon die 10. Geburt hinter sich hatten. Im Stillraum saßen die Mütter auf der nackten Erde, ihre Babys im Arm bzw. an der Brust. Wenn die Mütter nach einigen Stunden das Krankenhaus verließen, trugen sie ihr Baby im Tuch. Ich habe mir damals vorgenommen, das in Erinnerung zu behalten.

Als 1991 mein erstes Kind auf die Welt kam, hatte ich vorher weder Kinderbett noch -wagen gekauft sondern ein Tragetuch.
Die körperliche Nähe zu meinem Kind war eine beglückende Erfahrung für uns beide, und sie erleichterte den Alltag enorm. Ich hatte beide Hände frei. 1995 bekamen wir Zwillinge, und auch die schliefen in meinem Arm und wurden im Tuch getragen. Es geht tatsächlich ;-)

Weil mein Mann gut verdient, konnte ich viel länger als nur 3 Jahre für meine Kinder da sein und sie selbst erziehen. Ich bin empört, dass diese Entscheidung ein Luxus für Begüterte geworden ist. Früher konnten Familien selbst mit mehreren Kindern von einem Gehalt leben. Heute werden Familien systematisch steuerlich beraubt. Und dass selbst in Zeiten der spürbaren Demografieverschlechterung und des Gejammers wegen drohendem Fachkräftemangel immer noch Kinderlosigkeit indirekt finanziell honoriert wird, ist der blanke Irrsinn.

Ich fordere volle gerechte finanzielle Gleichstellung von Eltern und Kinderlosen, z.B. über Familiensplitting und Kindergrundeinkommen. Macht mit beim ersten Elternaufstand in der Geschichte Deutschlands: Elternklagen.de

Die Zeit als Chance: 1996 starb meine Tochter und ließ uns (Eltern, Bruder und Zwillingsbruder) zurück. Es blieb nicht viel gemeinsame Zeit, kaum ein Jahr. Wie froh bin ich, dass ich so viel mit ihr zusammen sein konnte.

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