Bindung, Krippe, Eingewöhnung...

Können auch Krippenkinder sicher gebunden aufwachsen?

Es gibt verschiedene Eingewöhungskonzepte, die sich am Bindungsverhalten des Kindes (und auch der Mutter) orientieren und darauf abzielen, das Kind möglichst schonend an die neue Bezugsperson heranzuführen, zu "binden". Die jeweiligen Rahmenbedingungen und Vorgehensweisen sind allerdings von Kita zu Kita und Erzieher zu Erzieher ganz verschieden.

Einige Gedanken, die zeigen, warum Bindung und Krippe eher schwer zusammenkommen:

  • Jedes Kind strebt natürlicherweise, instinktiv nach einer Verbindung mit der Mutter. Sie ist ihm bereits aus der Zeit im Bauch vertraut, zu ihr möchte es die Bindung aufbauen. Die Mutter soll der sichere Hafen sein, der dem Kind Schutz, Halt und Orientierung bietet. Aus Sicht des Kindes braucht es keine andere Bezugsperson.
  • Jede weitere Bindung, die ein Kind zusätzlich aufbaut, wird lockerer, loser sein- das Kind wächst also womöglich mit mehreren eher flüchtigen Bindungspartnern auf
  • Eine stabile Bindung kommt nur zustande, wenn beide Bindungspartner zur Verfügung stehen. Bringen Mütter ihr Kind frühzeitig in Fremdbetreuung, so ist Beobachtungen zu Folge deren Bindungs-Verfügbarkeit von Anfang an gestört: ihr Blick ist mehr auf die bevorstehende Trennungssituation gerichtet als auf den intensiven Aufbau der Beziehung zum Kind.
  • Stillen ist eine hervorragende Möglichkeit, Bindung aufzubauen und zu vertiefen. Mütter, die ihre Kinder zur Krippe bringen werden, bauen eine Stillbeziehung auf, die womöglich auf Abstillen ausgelegt ist. Die Zeit für Bindungsaufbau ist dabei sehr knapp und die Angst, das Kind nicht rechtzeitig wieder von der Brust los zu kriegen, ist groß.
  • Eine sichere Bindung aufzubauen braucht gemeinsam verbrachte Zeit. Wenn Mutter und Kind durch die Krippe getrennt sind, bleibt ihnen wenig Spielraum um ihre Verbindung zu manifestieren. Hier kommt die "Quality Time" eindeutig an ihre Grenzen.

Unzweifelhaft ist aber auch, dass sehr frühe und umfangreiche Betreuung von zweifelhafter Qualität mit erheblichen Risiken für das Bindungsmuster zwischen Mutter und Kind einhergeht. Damit erhöht sich auch das Risiko, später an einer psychischen Störung zu erkranken.

Dr. med. Rainer Böhm

Fragen zum Nachdenken über die Eingewöhnung:

  • Dass die Trennung zwischen Mutter und Kind enormen Stress verursacht, ist offensichtlich und logisch. Kann eine gute Eingewöhnung darüber hinweghelfen?
  • Kann die Eingewöhnung bei allen Krippenkindern gelingen? Gibt es die Möglichkeit für einen Rückzieher falls es nicht funktioniert?
  • Bist du einverstanden, dass dein Kind sich an eine fremde Person bindet?
  • Wie viel Zeit bleibt für eine individuelle Beobachtung des Kindes, einfühlendes Verstehen und notwendige emotionale Zuwendung bzw. Ansprache durch die Erzieher/innen?
  • Auch für die primäre Bindungsperson bedeutet die Eingewöhnung vielleicht zum ersten Mal das Kind loszulassen. Inwiefern wird darauf eingegangen? Wie wird die Mutter angeleitet bzw. begleitet? Können individuelle Wünsche und Vorstellungen berücksichtigt und umgesetzt werden?
  • Wie verlässlich sind die Rückmeldungen der Erzieher/innen? Gibt es regelmäßigen Kontakt und Gelegenheit zum persönlichen Gespräch? Besteht Vertrauen zwischen Eltern und Erzieher/innen?

Wie diese erste Trennung vom Kind erlebt und verarbeitet wird, hat also Einfluss auf das Erleben und die Bewältigung aller weiteren sogenannten Übergangssituationen im Leben des Kindes und auch auf seine Gefühle, sein Verhalten und sein Selbstbild.

Christel van Dieken, Diplom-Pädagogin

Immerhin ist das Weggehen der Mutter ein schwerwiegender Vertrauensbruch aus der Sicht des Kindes. Manche Mütter berichten davon, dass ihre Kinder plötzlich heftige Aggressivität ihnen gegenüber entwickelt hätten(...) andere beklagen sich darüber, dass ihre Kinder dann, wenn sie zusammen wären, an ihnen wie Kletten "hingen". Manche schrien extrem, sobald die Mutter nur außer Sichtweite geriete. Sie würden ständig nerven und quengeln bzw. besonders viele Dummheiten machen. Leider erkennt man meist nicht, dass das ein "Notruf" der Kinder ist, deren "Liebestank" leer ist.

Hanne K. Götze: "Kinder brauchen Mütter"

Wenn Eltern die Wahl und außerdem die Möglichkeit haben, sich verschiedene Einrichtungen anzusehen, lautet mein Rat, diese ein oder zwei Tage lang zu besuchen. Wenn du dich willkommen fühlst, akzeptiert und wohl, dann ist die Chance groß, dass es deinem Kind genauso gehen wird. Wenn sich dein Kind nach 4 bis 6 Wochen noch nicht eingelebt hat, hast du vielleicht nicht die richtige Wahl getroffen; entweder war es falsch, dein Kind in fremde Hände zu geben, oder die Wahl der Einrichtung war falsch. Und wenn dir keine andere Wahl bleibt? Dann gilt das auch für dein Kind!

Jesper Juul

Zum Weiterlesen:

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